Amerika.
Das rote Herz.

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Du warst schon einmal hier, flüstert mein Herz. Blauer Wüstenhimmel und farbige Felsen flimmern vor meinem Auge. Rote Monolithen, die aussehen, als hätte der Wind einmal rechts und einmal links feste an den Ohren vorbei gepustet, um so kantige Felsformen zu drechseln. Für die Indianer ist deren Farbe nichts Besonderes. Es ist die Farbe der Natur. Es kommt nicht darauf an, was man sieht, sondern wie man es sieht, sagen sie. „Unsere Haut ist braun wie unsere Mutter Erde“, sagt Joe und senkt den Blick auf den rot-braunen Wüstensand des Colorado Plateau, genau dort, wo die Staaten Utah, Colorado, New Mexico und Arizona an einem Punkt zusammengenäht sind.

 

Das heilige Land der Navajos

Ich fahre nun schon seit Stunden auf der Interstate 98 und über rote Schotterpisten, ohne dass mir ein Auto entgegenkommt und frage mich, wer hier überhaupt lebt. Monumentale Weite. Dieser Teil des Planeten ist Freiheit. Es ist das heilige Land der Navajos. Sie nennen sich „Volk“ und sind der größte Indianerstamm Amerikas. Das Reservat ist so groß wie Bayern. Die Navajos haben eine eigene Sprache, eigene Gesetze und eine eigene Polizei. Sie leben in einer ganz eigenen, einzigartigen Welt. Zwischen Felsen hindurch schlängelt sich die asphaltierte Straße endlos weiter, ohne das Leben zu sehen ist. Menschenleer. Das Einzige, was sich in Amerikas Südwesten zu bewegen scheint, ist der rote Wüstensand.

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Ein Rausch der Natur

Wenn man zwischen Himmel und Erde spazieren gehen will, dann hier: Grand Canyon, Horseshoe Bend und Monument Valley. Mit Büchse und Lasso sehe ich John Wayne durch das Fenster der Filmgeschichte im weiten Marlboro Country gallopieren. Die Kulisse ist vertraut, aus den Western von gestern. Und dann ist da eines der unglaublichsten Wunder dieser Welt, an dem man fast vorbeibrettert, weil es sich im Nichts versteckt: Antelope Canyon. Ausgewaschene Steinformationen, Untertage, wie gefrorene rote Wellen, wie erstarrte Zuckerwatte, die im hereinströmenden Licht betrachtet, ihr Aussehen im Minutentakt ändern, von Gelb über Orange zu Violett. Ein Rausch aus Rot. Ein Rausch der Natur.

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„Wir haben gelernt zu überleben.“

Joe ist Navajo und fährt heute zum Markt, um Teppiche und den Silberschmuck zu verkaufen, den seine Frau fertigt. Er holt zwei blaue Plastikkanister aus seinem Hogan, einem traditionellen fensterlosen Haus aus Lehm. Joe lädt die Kanister auf die Ladefläche seines Pickup, denn auf dem Rückweg will er frisches Wasser zum Kochen mitbringen. Nur jeder zweite Navajo hat Arbeit, kaum einer der fast 300.000 Navajo Indianer hat Zugang zu Wasser oder  Strom. Und das, obwohl das Reservat an den Lake Powell grenzt, dem zweitgrößten Energiespeicher der USA, der Los Angeles im Westen mit Energie versorgt.

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„Wir haben gelernt zu überleben, weil wir den Stimmen der Götter vertrauen“, sagt Joe. Sie leben mit der Natur, nach den Traditionen und Werten ihrer Vorfahren und schaffen ihren ganz eigenen Wohlstand: ihre Sprache, das Land, die Familie und eine Selbstversorgungskultur sichern das Überleben in dieser kargen Landschaft. Wir fahren auf dem Highway, der Kurs auf ewige Ferne nimmt. Vergebliche Hoffnung auf eine Biegung, abgesehen von der natürlichen Erdkrümmung, die von weitem am Horizont schimmert. Ein endloses Schweigen liegt über der Landschaft. Die rote Erde liegt unter einer weißen Frostdecke. Nur aus dem Radio dröhnt es hier draußen: „Turn your trash into cash.“

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Der Navajo-Code

Ich erwarte, daß jeden Moment ein Schild am Straßenrand vorbeifliegt, dass warnt: „Auch auf den nächsten 1.000 Kilometern kein Essen und Bezin“, als an einer der seltenen Kreuzungen plötzlich der Marktplatz auftaucht. Erste Pickups und Lastwagen werden geparkt und langsam erwacht der Markt. Ich schlendere über den Platz und schaue einer alten Frau zu, wie sie Maisbrot über einem offenen Feuer backt. Sie trägt einen langen blauen Rock und Turnschuhe. Ihre langen schwarzen Haare sind zu einem Zopf gebunden und von ihrem Hals herab baumelt eine Kette mit blauen Türkisen über dem Feuer. Die wässerige weiße Teigmasse blubbert vor sich hin, bis sie die Frau einmal in der gußeisernen Pfanne wendet. An anderen Ständen werden Steaks, Gemüse, Heu und Traumfänger angeboten.

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Ich gehe weiter und bleibe an dem Verkaufsstand eines jungen Navajo stehen. Albert vertreibt Kräuterwaren und erzählt mir von seinem Großvater. Die Navajo Indianer wurden von den weißen Amerikanern brutal aus ihrem Land vertrieben und doch war es deren Sprache, denen die Weißen ihr Leben verdanken. Der Großvater von Albert war einer von 400 „Code-Talkern“. Der Navajo-Code war ein Geheimcode im 2. Weltkrieg, der die Japaner zur Verzweiflung trieb, weil sie kein einziges Wort des Codes entziffern konnten. Es existiert kein Alphabet und keine Schriftsprache und ausserhalb des Navajo Reservats spricht nur eine handvoll Menschen die Sprache der Navajos. So blieben die Kriegs-Nachrichten der Amerikaner ein ungelöstes Rätsel für den japanischen Feind. Die Haut der Weißen im Westen Amerikas – gerettet von vertriebenen Rothäuten.

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Joe hat seinen Pickup beladen und schaut mich mit seinen schwarzen Augen an, die so schwarz sind, wie das Universum. Er zwinkert mir zu, lacht sein Lachen, das wie die Sterne strahlt, und sagt: „Gehe aufrecht wie die Bäume, liebe dein Leben so stark wie die Berge, sei sanft wie der Frühlingswind, bewahre die Wärme der Sonne im Herzen, und der große Geist wird immer mit dir sein.“ Ich werfe einen Blick auf die Tüte Krautzeugs in meiner Hand und muss zufrieden lächeln. Ich gehe zum Auto zurück und höre mein Herz schon wieder flüstern.

26. März 2013

10 responses to Amerika.
Das rote Herz.

  1. Gerd said:

    Tolle Fotos und interessante Informationen zum Volk der Navajo Indiander!
    So verschieden leben die Menschen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten: Die Einen fliegen zum Mond – die Anderen haben nicht einmal Strom und fließendes Wasser.
    Viele Grüße
    Gerd

    • Markus said:

      hallo gerd, die geschichte der navajos ist tatsaechlich sehr beeindruckend. wie die so vieler ureinwohner auf den kontinenten. und sie versuchen weiterhin im einklang mit der natur zu leben, auch das beeindruckt.

  2. Stimmungsvolle Bilder! Erinnern mich an die Serien der 80er.

  3. Travelocaner said:

    Wow toller Beitrag! Die Bilder sind einfach nur super! 🙂
    Lg Marco

  4. Olivier said:

    Hallo Markus,
    Ich bin gerade auf deinen interessanten Bericht und die tollen Bilder gestossen. Ich war 2009 zusammen mit meiner Frau im Monument Valley. Der Anblick der Monoliten ist wundervoll. Wir haben in einem einfachen Zelt übernachtet. Nachts hörten wir die Koyoten um unser Zelt schleichen. Das war ein eindrückliches Erlebnis.

    Lg Olivier

    • Markus said:

      hallo olivier, wie schön, dass du freude an dem bericht hast. zelten am monument valley klingt nach einem ganz wunderbaren erlebnis. die natur dort lädt einfach dazu ein, mit ihr zu leben. viele grüße.

  5. händel manfred said:

    sehr schöne Bilder, sehr gut und tiefgründig beschrieben! Ich bin zur zeit in der Ausarbeitung meines Trips „Westküste“ beschäftigt und Ihr Bericht hat mir noch mehr Vorfreude gegeben. Ich wünsche Ihnen auch weiterhin eine erlebnisreiche Zeit. M.f.G. m.händel

    • Markus said:

      herzlichen dank, manfred, für die wünsche. ebenfalls eine gute reise und noch viel vorfreude.

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