Berliner Bio Boheme.

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Als ich neulich mal wieder Zeit in Berlin verjuxte, tauchten viele Fragen auf. Ich stiess beispielsweise mit der Frage zusammen, warum die Leute dort ueber Zweiraeder disponieren, die sich in der Mitte klappen lassen wie Kaesestullen. Zudem kollidierte ich mit dieser brisant-bruehwarmen Frage: Was machen hier Leute, die sich in Cafes hinter mobilen Apple Apparaten verschanzen und Double Bio Salted Caramel Chip Mocha Frappuccino® Light schluerfen? Ausser natuerlich, eine koestliche Kaffee-Spezialitaet fuer nur zwei Euro sechzig zu geniessen, wie zum Beispiel die Deutsche Bahn nicht muede wird solcherlei Spezialitaeten-Service zu preisen, wenn einem dieser in der ersten Klasse am Platz und in der zweiten Klasse im Boardbistro widerfaehrt. Die angesprochenen Konsumierenden derweil, hoert man hingegen nur eines lobpreisen: den ihnen grundgesetzlich garantierten Zugang zur Stromdose, um dort die unvorstellbar klugen Apple Apparate „anzudocken“, wie man so schoen neudeutsch traellert.

„Schon mal an die Umwelt und die Kinder gedacht?“ rotzt Claudia Roth vom Nachbartisch herueber. Ich didsche meinen Dinkelkeks da lieber in den Yogi-Tee und ducke mich schnell weg. „Ach-bitte-ja! Einen schlanken Spritzer von der laktosebefreiten Milch, bitte“, hauche ich noch rasch ueber den Tresen. „Ich habe da manchmal – meist dienstags und donnerstags, seltener am Freitag – diese Laktose-Unvertraeglichkeit. Immer dann kommt die. Ach, menno!“ Firlefanz. Die wirklich wichtigen Fragen sind noch von ganz anderem Format – Kaliber, will man wahrlich schnauzen! Da sind Sie erstmal platt, was?

Apropos platt. Die dritte Staffel von The Voice ist doch einfach nur platt. Wer sagt denn so etwas? Ich sage so etwas, obwohl ich dieses Format – wie man bei uns TV-Schaffenden vom Schichten-Sender zu so etwas sagt – nie geglotzt habe. Ich zitiere eigentlich nur eine entfernte Bekannte, die ohne Kenntnis darueber ist, dass ich hier an Ort und Stelle schamlos guttenberge.

Wie gesagt: platt, also. Der Plattenbau in Berlin. Haben Sie doch mal die Chuzpe, sich auszumalen: Sie hockten unter dem Dach ihrer frisch aufgemoebelten Platten-Zweiraumwohnung und jaeh singt die Klingel. Es schellt. Klingelingeling. Eine junge Dame mit einem Apple Apparat unter dem Arm, die fragt, ob sie mal eben schnell, wie man so schoen sagt, Strom haben koenne und dazu einen Double Bio Salted Caramel Chip Mocha Frappuccino® Light. Fuer hier. Was sagt man daraufhin nur?

Gewiss sagt man: “Bomforzionoes! Mein liebes Fraeulein mit dem drolligen Apple Device, treten Sie doch schon einmal ein. Sie sind mir aber mit einer extra Portion Verve ausgestattet! Dass muss man sagen. Alle Achtung! Die Schuhe koennen sie anlassen. Ich fahr nur rasch die Photovoltaikanlage hoch. Die hat sechzehntausend Euro gekostet, wissen Sie, dass hat sich schon 2084 amortisiert. Amortisiert, ach herje, auch wieder so ein Wort, von dem ich nie bei Shakespeare lese, sondern nur ueber den Steuerberater bescheid bekomme, …“, rufen sie noch vom Treppenabsatz aus, in das Kellergeschoss eilend. Doch das Erste, was der drollige Dame dann ins Auge schiesst, ist, dass ihr Waschbecken in der Kueche ja gar nicht Frauen- und Kindergerecht montiert ist. Alles was ihnen bleibt, ist zu beteuern: Dass, ach ja, dass laege nun daran, dass immer sie selbst den Abwasch vollbraechten, weil sie wurden ja in einer modernen Zweiraumwohnung und dazu in einem modernen Leben hausen. Da ist die junge Frau aber geplaettet und klaptt ihr modernes Zweirad in der Mitte auf, um damit die drei Stationen vom U-Bahnhof Eberswalder Strasse zum Alexanderplatz zu fahren. Sowas! Der moechte man am liebsten einen platten Reifen unter dem H und M bejeansten Hintern wuenschen. Macht man aber nicht. In schwierigen Rettungsroutine- und Schlecker-Frauen Zeiten wuenscht man nichts Unappetitliches. So bringt man aber die Woerter des Jahres unter. Auch gut: Diss-Loop und Swag. Hoert man jeden Tag in Berlin. Wer will da urteilen?

Es liegt mir auch fern, zu urteilen ueber Kinderarbeit oder Gleichberechtigung, aber meine Kleidung – bitteschoen – die kaufe ich allesamt bei American Apparel. Dass ist wie Bio Black Tiger Garnelen und Yogastunde zusammen. Herrengedeck war gestern, heute ist Rote Beete Saft. Selbst in Kreuzberg hat sich rumgesprochen: „Ohne Chillout kein Relax, Bro!“ Das wird man ansprechen duerfen.

Ob ein Aufenthalt im Stasigefaengnis entspannende Wirkung entfaltet, will einer nur vermuten wie Hans Guck in die Luft, wenn man selbst kein Knastbruder ist. Da spricht kaum einer drueber. Ein Knastbruder ist schliesslich kein Reiseleiter und der Stasiknast kein Quicky Mart. Quicky Mart – wer haette noch vor Jahren gedacht, dass selbst in der Erotik Ecke Auslaeufer der neuen Generation Zeitmanagement sichtbar werden wuerden. Nun also auch hier! Alles muss schneller gehen, im Gewerbe, und das Geld sitzt nicht mehr so locker, wie noch damals im Juli 1990, als man an einem Tag hundert Mark am Wurststand von Konoppke verprasste.

Ach ja, die Welt! Wo der Wind die so hindreht. Ich mag es ja, wenn ich eine Tuete Luft kaufe und dann ist diese sogar – Ueberraschung! – mit ein paar Chipspartikeln veredelt. Umso heimeliger, wenn die Berliner Currywurst Aroma entfalten. Das berstende Gluecksgefuehl ist vergleichbar mit dem Oeffnen eines chinesichen Glueckskeckses nach einem Sushi Essen in einer Berliner Kiez-Kneipe, aus dem ein Spruch rausplumpst, etwa so einer wie der hier: „When you‘re scared and you‘re lost, be brave.“

Ich weiss, da hat man erst eimal schwer zu knabbern dran (hihi!), denn der Spruch koennte auch eine Textperle einer dieser Elektro-Dudelpop-Bands aus fernen Landen sein. Muse zum Beispiel. Kann aber auch eine Verwechslung sein, denn die hab ich auch ewig nicht gehoert, weil mein iTunes Konto nur noch Lieder von Costa Cordalis fuehrt, obwohl ich die nie (selber) runtergeladen habe. Stimmt alles gar nicht, die Meldung stand nur in der Berliner Zeitung. Einen Schalltontraeger von Costa Cordalis wuerde ich anstandslos in meinem Besitz akzeptieren und wenn das nicht geht, dann eben einen von Roland Kaiser: „Manchmal moechte ich schon mit Dir…“ Wie sagte ein gestandener Denker einmal: „iPhone ist geil, Alder! Frueher musste man in Saturn und dass Lied so vorsummen, so lala lalalala lala.“ Da muss technischer Fortschritt doch noch mal ueberdacht werden, im privaten Kreis wie am Sonntags-Stammtisch.

Wenn ich der Musik von Roland Kaiser zuhoere, denke ich auch immer. Ueber dies und das. Manchmal kommt es vor, dass ich in solchen Momenten sogar schwelge, naemlich – richtig – von der drolligen Dame mit dem Apple Apparat unter dem Arm, die mit dem blauen Gesicht, ohne Nase und Mund und dem Kaesebrot-Rad. Und davon, wie das waere, den ganzen Tag auf so einen drolligen Bildschirm zu starren und im Posteingang auf die Ankunft des Arbeitslosenbescheides zu warten. Dieses anmutige Bescheid-Design! Huhuhu, nanana, sowas gehoert aber in die Abteilung: kann man mal denken, aber nicht sagen! Und schon gar nicht schreiben! Hoeren Sie mal, empoeren sich da ungefaehr 93,5 Prozent der Leser. Es handelt sich nur Erfahrungswerte fuer Berichte zu den Themen Todesstrafe, Kinder oder Tiere. In Zeiten von Bundeskanzlerinnen und Spitzenkandidaten aber, sind das schlechte Werte von der Basis, schaller ich verbal zurueck. Meine lieben Wutbuerger! Da muesst ihr schon schaerfer schiessen und das anders anpacken! Wer was bewirken will, muss sich empoeren. Das geht am Besten durch einen Klick bei einer Online-Petition.

So werde ich aber weiterhin zur beruehmten Stosszeit und ihrem noch beruehmteren Bruder, dem Berufspendelverkehr, in die U-Bahn stossen – mit Kaese-Klapprad. Jeden Morgen, drei Stationen. Da koennt ihr gucken wo ihr mit Eurer Toehle bleibt. Und ueberhaupt: Hundekot kommt nicht in die Bio-Tonne! Aber das war ja nun wirklich nicht die Frage.

(Die Rechte an diesem Text liegen nicht bei mir, sondern stehen beim Nachbarn vor der Tuer. Ich bitte trotzdem, den Text nicht zu entfernen, da ich auf eine weite Verbreitung in elitaeren Zirkeln der Wissenschaft und Macht hoffe und darauf, dass der Content auch in deinem Land angezeigt werden darf.)

21. Dezember 2012

2 responses to Berliner Bio Boheme.

  1. vada said:

    hahaha….Double Bio Salted Caramel Chip Mocha Frappuccino® Light. Der war gut.

    Aber was ist denn bittschön ein Diss Loop und Swag? Erlöse mich von der Unwissenheit 🙂

    • Markus said:

      Erloesen? Da kann ich nicht behilflich sein. Einfach mal nach Berlin reisen und nachfragen. Ich waere da auch interessiert, denn ich kenn das auch nur vom Hoerensagen. Vielleicht ist hier die Rede von einer neuen Achterbahn und einem Schlafsack am Uluru. Vielleicht aber auch nicht.

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