Portugal.
Im Juni.

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Die Sache lag so: Im Juni lebte ich in einem kleinen Küstenort, nördlich von Lissabon. Ich unternahm das Ding, das gottverdammte Manuskript für mein Buch zu beenden. Ich lehnte an meinem Haus, gegen die königsblau und weiß geflieste Wand, oben, auf der Veranda, und schaute die Straße hinunter. Sonnenbrille, nicht mehr ganz so gut gekühltes Superbock. Einfach so stand ich da und dachte: Geil.

Straße stimmte eigentlich nicht. Denn mit der Straße war ja an meinem Haus Schluss. Dann fing der Weg an, der sich wellenförmig zu den Dünen mühte, die das Ende der Insel ankündigten. Und irgendwie wollte ich mir einreden: auch das Ende der Zivilisation, wenn man nur immer weiter Richtung Westen triebe. Ich blickte also auf eine auslaufende Dünenbühnenausstattung, die einer coloradoartigen Highway-Landschaft glich. Auf Stromkabel, die sich wie schwanger von Holzmast zu Holzmast hangelten. Auf grüne Gebüschtupfer, die aussahen wie Cheerleader-Wuschel.

Wenn man in der Mitte dieses Weges ging, hatte man gute Chancen, nicht zu stolpern, in die gemeinen kratergroßen Schlaglöcher. Flipflops tragen war ja klar, bei den paar Metern zum Meer. Meer: immer letzte Ausfahrt. Das Meer atmete blau und fauchte. Von Westen her, direkt in mein Ohr, abends lauter als am Morgen. Das begleitende Rauschen wurde in Amerika gemacht, so stellte ich mir das vor. Vom Süden, wo die Dünen sich irgendwann um die Ecke spannten, da piepten mir die Vögel Musik, mussten wohl auf Durchreise sein, irgendwo aus Afrika irgendwie, dachte ich. Immer andere Vögelchen waren das wohl, weil es immer andere Töne waren und Melodien.

Morgens ging ich runter zum Strand, Füße in den schon warmen Sand krallend, prüfte, wie weit sich der Dunst schon verzogen hatte, ob wir Horizont hatten, ob Sonne kommen sollte, ob schon ein Sonnenschirm im Sand steckte. Die irren Manöver der Möwen. Mittags aß ich pao com queijo und azeitonas und trank ein drittel Glas vino tinto, weil man das mittags ja so machte, sobald man sich in Landschaften südlich von Straßburg befand. Südlich von Straßburg legte man als Beifahrer auch die Beine auf das Armaturenbrett.

Immer kam mittags dann der Mann mit Kappe, Trainingshose und Latschen vorbei. Er zog, strammer Schritt, ein klapperndes und quietschendes Gestell auf Gummirädern hinter sich her. Auf dem Metallgestell war ein Motor montiert, an dem ein grüner Schlauch befestigt war, Durchmesser Marke Staubsaugerschlauch. Der Mann verschwand in einem Gebüsch, aus dem er eine halbe Stunde später wieder herausstieg. Und klar musste man da beim Betrachten des Schlauchwagens an Christoph Maria Herbst denken, und wie er aus der Dissertation Penisverletzungen bei Masturbation mit Staubsauger las.

Weil es schon Nachmittag war, als ich an der Fliesenwand lehnte, kamen, weil es eben Nachmittag war, ein paar der Dorf-Jugendlichen auf Vespas gefahren. Fast alle Dorf-Jugendlichen hatten einen Christiano-Look. Sie zogen die Mopeds nochmal hoch, dann ruckelten sie den löchrigen Weg runter Richtung Dünen. Dort rauchten sie. Auch das mutmaßte ich überwiegend. Denn auf einer der Dünen, dort thronte ihre Raucherecke, eine Holzbank, und vor der steckten Kippen im Sand. Einmal ließ jemand ein aufgerissenes Kondomkuvert zurück.

In Portugal wurde ja immer und überall geraucht. Der Begriff Raucherclub war praktisch unbekannt, bedurfte, bei Hand-und-Fuß-Gesprächen mit Einheimischen: einer Erklärung. In Filipes tasca, einer Eckkneipe, die an keiner Ecke lag und in einer deutschen Kleinstadt Hängeboden, Eckis Eck oder Rosis Stüberl benannt worden wäre, saßen die kleinen portugiesischen Dorf-Männer und tranken bica, Kaffee aus Espressotassen, und Superbock und dann wieder Kaffee. Thema war die Euro, die früher Europameisterschaft hieß. Nur dass England nichts gewann, änderte sich nicht.

Der Fernseher lief stumm, wie er es immer tat, so genannte Nachrichten, dann eine Telenovela. Aus dem Duz-Radio, bis hierher terrorisierend, kamen Sommerhits von Robin Schulz. Die passten nicht zu Filipes tasca-Kundschaft, dazu hätte es Schlager bedurft oder eben Fado, weil trotz jeder sich auftürmenden Welle ja über allem diese portugiesische Nostalcholie lag.

Von den alten Männern ohne Zähne und mit Hut ging eine grundsätzliche Bejahung des Lebens aus, die immer wieder mal in einen wunderschönen, gepflegten Fatalismus der Alltagsumstände mündete. Abends die paar Schritte zum Strand. Meine täglichen Liegestütz machen. Hundert Stück. Weil man ja immer in Fitnessneuanfangseuphorie verfiel, am Meer. Wenn alles schon in Gold getaucht ist. Die Sonne blieb ja bis Neun. Nachts dann war es so irrsinnig dunkel.

Der Fischer auf dem Fahrrad, schlingernd. Die Dünen, syltartig sahen die aus. Nur Gosch-Brötchen, die gab es hier natürlich nicht – soweit reichte weder der Arm der Globalisierung, noch Merkels. Hier hatten sie, weil es Juni war, sardinhas, ohne Umwege gefischt aus der See, ausgesprochen schmackhaft, obwohl gar nicht von Gosch.

Pedro streifte tagsüber auf seinem Kindermountainbike, mit Kappe und Tattoo an der Wade, mit Madonna-Cowboyhut auf der langen, welligen Rudi-Völler-Haarpracht, durch den Ort und unterhielt abends die tasca. Dabei setzte er auf eine verlässliche Kombi aus Dramatik, Klamauk und ausufernder Lässigkeit. Pedro redete unentrinnbar und manchmal schnappte ich was auf. Dann ging’s um Christiano Ronaldo, um die da in Lissabon, dann den Brexit, dann, und darin mündete immer alles: die Merkel.

Einmal, jeden heiteren portugiesischen Basis-Gefühlshaushalt sprengend, behandelte seine Rede, dramatisch, den Tod seiner Frau, dass er aufhörte zu trinken (eine klamaukige Trinkergeste), und dass sein Leben seitdem in Bahnen verliefe, die voll gut seien. Ich nahm ungeprüft an, ganz so hatte er es nicht gemeint, gab ihm aber nickend zu verstehen, dass ich verstand. Ganz der Schreiber, der sein Manuskript beenden wollte und nun hier saß, bei den Leuten, und zuhörte, Dinge und Worte und Gegenwart mitschnitt. So musste es für die Bewohner ausgesehen haben.

Die Frauen. Die hockten, Küchenkittel tragend, vor den Häusern, fast alle mit Hut und Stock. Alle mit Brille. Stickend oder kartenspielend, im Schatten der tropfenden Tageswäsche versteckt. Wer mit einem tarde! (»Tag!«) die Straße hinaufging, dem echote ein freundliches tarde! entgegen. Wer später die Straße wieder hinunterkam, sah dieselben Frauen vor den Häusern sitzen, wieder grüßend.

Die Häuser. Ich ging ein letztes Mal durch die Straßen. Flache, geflieste Giebeldachbauten oder Holzhäuser, bunt gestrichen wie in Kopenhagens Nyuhaven. Irgendwie zu klein geraten. Doch hier passten sie irgendwie hin. Alutüren und Schiebefenster. Balkone mit gefrästen Säulen dekoriert. Mit Adlern und Löwen. In die gefliesten Vorgärten blickend, lachten einen bunte Gartenzwerge an, mahnten Mariafiguren aus Plastik. Irgendwas Made in China. In der Auffahrt: umgekippte, ausrangierte Holzbötchen, die Farbe am Rumpf erblasst, der Rost in Blüte. Von den Hauswänden grüßten Santo Joao-Malereien. Ausgefranste rot-grün-gelbe Fahnen. Wimpel flatterten im Wind. Lamettagirlanden raschelten.

Ich hatte zu tun, im Monat Juni. Tage mit dem Meer, die kaum merklich (aber dann doch) rasch fallende Westsonne am Abend, Filipes tasca Nächte. Das Ding hatte gewaltig Schieflage. So lag die Schreib-Sache, nach dem Juni. Und das war völlig okay, gar kein Problem, nada.

11. Oktober 2016

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