Thailand. Buddhisten in bunten Bermudas.
Der Mann steht mit der Hose in der Hand und dem Rücken zum Meer am Ufer. Die Wellen sind heute nicht in Laune. 10 Zentimeter. Mehr nicht. Eigentlich sind es gar keine Wellen, die da an Land pressen. Ein bischen kraftloses Wasser, was da müde eintrifft, ja. Ein Wellchen vielleicht.
Ich schaue zu dem Mann herüber und warte ab. Der Mann trägt eine enge Badehose und die schwarzen Haare glänzen unter der Sonne; die Pomade hält es im Zaum. Er wiegt seit einer Weile seinen Oberkörper ein wenig vornüber und hält die bunte Bermudahose mit beiden Händen vor dem Rumpf, wie ein Torrero die Capa, das rote Tuch beim Stierkampf. Zum Kampf bereit.
Er wartet ungeduldig auf seinen Gegner. Das schwache Wasser, das gerade vom Meer eingeatmet wurde, schiebt sich nun ein weiteres Mal auf den Strand zu und befreit die Füße von Sandkristallen. Ich beginne zu zweifeln. Der gebückte Mann hebt ein Bein und steckt es in das passende Hosenbein seiner Bermuda. Das Bein ist jetzt bis zum Fuß zwar sandrein, aber naß. Die gleiche Prozedur wiederholt sich mit dem zweiten Fuß und Hosenbein. Am Ziel! Oder nicht? Wem nützen saubere Füße, wenn die Hose näßt?
Ich bin verwirrt und denke darüber nach. Nicht über nasse Hosen. Aber: Wie ist das, wenn man am Ziel angekommen ist? Ich bin an einem Ort in Thailand, der den westlichen Traum von Freiheit und Glück verkörpert, so umwerfend schön ist es hier. Weißer Sand, türkisblaues Wasser, endloser Meerblick, ein Segelschiff mit grünen Segeln, das am Horizont von links nach rechts segelt. In der Candy-Bar spielt der Song Take My Breath Away.
Hier vereinen sich Anfang und Ende einer westlichen Sehnsucht. Die Sehnsucht ist erfüllt und existiert doch gleichzeitig als reales Bild weiter. Es brennt sich unauslöschbar auf meiner Retina ein. Und dieser Ort existiert seit unendlichen Zeiten. Genau wie die Sehnsucht danach. Ein Kreislauf. Da und gleichzetig unerreichbar, weil es am Ende immer wieder vor meinem Auge auftaucht. Damit nie erreichbar ist. Anfang und Ende – Eins.
Ist das Buddhismus? Bin ich gerade wiedergeboren? Und was mache ich als Nächstes? Oder: Was geschieht mit mir? Ist das Nirwana? Muss ich mich nun leer fühlen? Stehe ich gleich mit einer bunten Bermudahose am Wasser und wasche meine Füße rein? Ist DAS Glück?
Thailänder sind Buddhisten. Wer aufmerksam ist, in Thailand, den umgibt plötzlich unglaublich viel Buddhistisches. Man beginnt über den Sinn nachzudenken. Es ist der Versuch, aufmerksam und gnädig zu sein. Mit Gedanken, Sprache und Taten. Sich und anderen die Last zu nehmen. Sich bemühen, ohne ein Ergebnis zu erwarten. Das erklärt die Hingabe und Geduld der Thais bei allem, was sie tun. Ich staune und beginne zu begreifen. Sie sind die letzten Hüter der Aufmerksamkeit. Alles dient der Suche nach dem Glück. Und nach dem wird bekanntlich ja auch im Westen gefahndet.
Francois lebt seit zehn Jahren in Thailand. Er ist mit einer Thai verheiratet und hat zwei Kinder, das jüngste gerade geboren. Wir fahren mit dem Taxi in die Stadt. Mit dem Fahrer war ein Preis von 50 Baht für die Fahrt ausgemacht. Als er den Wagen anhält, fordert er 70 Baht von uns. Ich will gerade ansetzen mich über seine Gier zu beklagen, als Francois ihm 70 Baht nach vorne reicht und ihm viel Glück wünscht. „Unsere Taten haben Folgen“, erklärt mir Francois. „Wirf einen Stein ins Wasser und es wird Wellen geben. Reagiere gütig und Du verwandelst ein tobendes Meer in eine friedvolle See.“
Am Abend erzählt mir Francois bei rotem Wein aus der Heimat vom Tsunami 2004. “ Es waren die Banken und Hotelketten, die das Glück der Menschen auf der Insel Koh Phi Phi zerstört haben. Nicht die Natur.“
Er selbst habe viel Glück gehabt damals, sagt er, habe in der Nacht in einem höher gelegenen Appartement im Ort übernachtet, weil sein Strandhaus vermietet war. 10 Meter vor seiner Tür sei das Wasser einfach stehen geblieben.
Ökonomisches Glück wurde den Thailändern nach dem Tsunami versprochen. Den Kopf von Dollarnoten verdreht, hätten einige Thais sogar Familienmitglieder getötet, nur um ihr Land verkaufen zu können, erzählt Francois. Wenig buddhistisch irgendwie. Was kommt eigentlich nach dem Geld? Was kommt, wenn die Sehnsucht eine Endstation erreicht, weil Geld sie bezahlt. Gibt es eine Endstation Sehnsucht? Und ist DIE Glück?
Das ganz persönliche Glück würden Asiaten und Russen zerstören, schimpft Francois. Sie rückten in großen Bussen an und würden nicht in Restaurants außerhalb ihrer reservierten Hotels essen, winkt er ab und verzieht dabei das Gesicht. Da immer weniger Europäer und immer mehr Asiaten und Russen kämen, lohne das Geschäft hier nicht mehr.
Ich frage, was die Miete für sein Lokal kostet. „9.000 Baht“, antwortet Francois. 200 EUR, die er jeden Monat an diesen chinesischen Halsabschneider zahlt. Das ist für diese Lage ein sehr gutes Geschäft, von dem man hier leben könne, werfe ich ein. Nein, er habe etwas anderes vor, etwas, das ihm Spaß mache und Selbstwert gebe. Es ziehe ihn auf eine ganz bestimmte Insel: Ko Yao Yai – die schönste Insel der Welt. Die besteht im Wesentlichen aus Urwald: alles grün, ursprünglich, unberührt. Nur wenige Menschen kämen bislang hierher. Er müsse keine Miete zahlen und wolle sich hier selbst versorgen. Zudem sei die Insel sicher vor dem Tsunami. Klingt SO Glück?
Der Mann am Strand fragt seine Frau, was denn das dort Schönes sei, daß in der Nähe blau aus dem Sand heraus schimmere. Och, antowortet die, alter Modeschmuck. Der Mann mit nasser Hose verschwindet in einer Art Entengang vom Strand. Glücklich, nein, glücklich sieht er dabei nicht aus.
30. November 2011
3 responses to Thailand. Buddhisten in bunten Bermudas.
Mensch, das ist aber ein etwas schwermütiger Artikel. Ich habe von Thailand und vom Strand doch eher Bob Marley mit ein bisschen I shot the sherrif und sowas im Kopf.
Glück kannst Du auch hier haben. Dazu musst Du nicht 12000 Kilometer durch die Gegend gondeln. Das fängt an, wenn Du gerade noch so die S-Bahn erreichst und Dich fragst ob das die Laune des Schicksals war oder ob Du einfach gut rennen kannst.
Oder wenn Du ein Erlebnis hast, wo Du freudestrahlend wirst.
Ich könnte zum Beispiel auch gut am Strand liegen. Mit meiner Frau. Wir würden zusammen aufs Meer schauen. Das reicht erstmal um glücklich zu sein. Aber zwei Wochen durchgehendes Aufs-Meer-gucken hält ja auch keiner aus.
Hätte ich dann nicht mindestens ein Buch, wäre ich nicht so happy.
Also trink doch einfach noch ein paar Singa und genieß die Zeit.
Auf Ko Yao Noi und Ko Yao Yai war ich vor einigen Wochen. Ich habe es auch kaum geglaubt dass es noch eine Insel in der Andamanensee gibt die noch so ursprünglich ist. Kleine Fischerdörfer, nur einen 7-Eleven mit ATM, wenigen Unterkünften und Touristen. Die Strände sind nicht mit den anderen Inseln vergleichbar. Aufgrund von High und Low Tide kann man nicht immer und überall schwimmen. Besonders Spaß macht es die Inseln mit dem Moped zu erkunden. Allerdings sollte man von Yai rechtzeitig wieder nach Noi rüber bevor das Wasser am Pier so tief ist dass man das Moped nicht mehr aufs Boot bekommt :).
hallo feli. ja, ich war auch dort, nachdem mein franzoesischer freund es mir empfohlen hat und ich war ebenso ueberrascht wie du. einen solchen schatz in thailand noch zu finden, das glaubt man kaum. mit dem moped fand ichs auch am besten. gute reise!