Pension Berg.
Reise zum Mittelpunkt der Stille.

Markus-Steiner-Berge-Sonnenaufgang

Hier kommt ein Loblied auf die Stille. Der Mann, der mir vor der Hütte gegenüber sitzt, blättert gelangweilt in seiner Zeitung und versucht die Buchstaben zu entschlüsseln. Die fettgedruckte Überschrift vermag – einmal mehr – nichts als lautstark zu tönen, mahnt: „Alles kann Schiefgehen“. Kurt Tucholsky wußte es: „Nähme man den Zeitungen den Fettdruck weg, um wie viel stiller wäre es auf der Welt.“

Manchmal, da möchte man Ja brüllen und fragen, was denn da schiefging, weil sie bei uns gar nicht mehr im Sortiment zu sein scheint: Die Stille. Und manchmal, da wundere ich mich: Warum leuchten die Sterne in der Ferne – aber nicht vor meinem Fenster? Ein so blendendes, famoses Paar!

Der letzte Ort, an dem ich den Auftritt der Beiden erleben durfte, war ein buddhistisches Waldkloster in Thailand. Und neulich, bei einem Abenteuer in den Bergen. Auch hier lebt die Stille, der Stoff, aus dem die Lebendigkeit gewebt wird. Der Raum des Geistes, wie mal einer klug bemerkte. Dort stehen die graukühlen Giganten. Und obwohl sie so stark, mächtig und schön sind, müssen sie keinen Laut von sich geben, nichts ist da, was hinausposaunt, was – wie die Lava eines Vulkans – in die Welt hinausgespuckt werden muß. Einzig die Schönheit ihrer Rücken, die schreit einen an.

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Nur eine Nacht von der rastlosen, unserer wahren Welt, entfernt, durch die wir gehen und die wir schon lang nicht mehr verstehen, weil wir betäubte und zusammengedrängte Flüchtlinge sind, uns im Kreis drehen – immer um uns selbst rum – und in der wir tagein, tagaus, wie Hemingways alter Mann, der Stille einen tobenden Kampf liefern. Sinnlose Stille. Fruchtlos. Nutzlos. Als würde sie uns wie ein tosendes Meer, ein wütender Sturm oder ein feuernder Kugelblitz bedrohen. Oder: wie ein iPhone mit Facebook-App.

Wir hatten für eine Nacht in der Pension Berg eingecheckt. Weil hier ein neuer Morgen kommt. Weil hier Ruhe ist. Weil hier Sterne und Stille erstrahlen, die Seele streicheln. Das Schöne an der Stille ist, sie macht keinen Lärm. Sie gibt alles her, was sie hat. Mit ihr kann ich sein wie ich bin. Oder mal war, wer weiß das schon.

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Ich verlies unser Nachtlager um Wasser zu suchen, da unser Vorrat bald verbraucht war. Wir hätten Wasser aus dem nahen Bergsee mitnehmen können, stiegen aber noch 100 Höhenmeter weiter auf, vertrauten auf eine weitere Quelle und wurden mit einer Schneespur belohnt; letzte Rinnsale der gewaltigen Winterdecke, unter der ein 2000er zur Winterszeit schläft. Weiter unten war im stillen Wasser des Bergsees mein Spiegelbild eintätowiert, so sehr ruhte er, und ich erkannte – wenn ich dabei an das Leben dachte – daß ich gar nichts darüber weiß. Nichts gelernt. Und doch so viel.

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Nachts ging ein lebendiger, ein leichter, lautloser Wind. Die Brise streichelte mein Gesicht die ganze Nacht hindurch. Sterne wanderten. Hemingway umarmt sie als unsere fernen Freunde, die Sterne. Wie wärmende Sonne bei Nacht. Geduldig, ganz ohne Grauen, nur noch den eigenen, wirbelnden Gedanken lauschend. Schon lacht der klare Nachthimmel ein letztes Mal. Auf der anderen Seite streckt bereits der Gipfel, den wir zum Sonnenaufgang erklimmen wollen, still seinen Rücken empor.

Aufwachen um 4 Uhr 30. Die Dämmerung, bevor sich die Sonne erhebt. Taghell. Die Luft, die ich schmecke. Verändert. Ein leichter Nebelteppich, der noch tief hängt, der kaum eine der Klippen die über uns stehen durchstoßen läßt. Berauschender Morgendunst. Der nun im Rauschen des Gaskochers mündet, weil Schnee zu einer frühen Mahlzeit eines neuen Morgens schmilzt.

Die Leichtigkeit. Klarheit und Ferne. Als wärs nicht von dieser Erde. Die Stille! Sie hat alles und verschenkt das ewig Fehlende. Sie ist es, die mich öffnet, anzündet und erhellt, die mich heimkehren und die Stimmen verstummen läßt.

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Dank an Andreas, für die feinen Aufnahmen auf unserer Nacht-Tour.

27. Juli 2013

10 responses to Pension Berg.
Reise zum Mittelpunkt der Stille.

  1. Andreas said:

    Schöner Bericht einer wirklich schönen Tour. Tolle Gegend. Danke dafür!

  2. markus said:

    danke! 🙂

  3. Stefan said:

    Hach, so melancholisch …

    „Die Brise streichelte mein Gesicht die ganze Nacht hindurch.“ Effi Brise? Berta Brise? 🙂

    Andreas: „Tolle Gegend“ ist wohl Geschmacksache. 🙂 Immerhin gibt es auf dem ersten Bild noch Bäume.

    • Markus said:

      jaja, die natur, die macht sachen mit einem…
      hiess sie nicht berta griese?

  4. malapascua said:

    Wow, der Bericht klingt super und die Fotos sehen einfach genial aus! Viele Grüsse aus Zürich!

  5. Johannes said:

    Kann mich den anderen nur anschließen. Wirklich toller Schreibstil und eine schöne Ode an die Stille. Ja, man sollte sie sich wirklich öfter gönnen.

    • Markus said:

      das freut mich sehr zu hören, johannes. in aller stille. viel freude – vielleicht bei der nächsten wanderung?

  6. Johannes said:

    Ich habs ja hier von München nicht weit bis zu den Bergen. Aber die waren in den letzten WOchen echt überfüllt. Also leider keine Stille. Aber vllt. wirds ja jetzt im OKtober wieder besser.

    • Markus said:

      ja, ich war kürzlich zur zugspitze – ein ganz schöner zirkus, der da los ist. vielleicht hast du ja während der wiesntage glück in bergen…

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