China.
Reisen im Jahr der Schlange.

china-mauer

Der grosse Mann mit der riesigen Nase saß mir auf der Bank plötzlich gegenüber und ich hielt krampfhaft meine Reisetasche fest. Der Mond stand im 2.556 Zyklus, am zehnten Tag des zweiten Monats – einer mir vollkommen fremden Zukunftszeit. Die warme Sonne war an diesem Tag weit oben bei den Göttern aufgehängt, viel höher noch, als der große Holzbau, der gleich hinter dem Mann sichtbar war. Der Bau erinnerte mich doch sehr an die Majolika-Pagode unseres Kaisers in Peking. Ich kauerte auf der grünen Holzbank, in einer vom Schnee eingemummelten Parkanlage, den die Einheimischen den Garten Britannia von Min-Ga rufen.

Meine Reise war nicht nach Plan gelaufen. Denn: Ich, Kong-Fu-Zi, aus der Provinz Hubei, nördlich des Sees, war vor zwei Tagen aufgebrochen, um von Peking aus, in mein Heimatdorf zu reisen. Dort wollte ich zum Neujahrsfest, mit meiner liebenswerten Familie und der liebsten Fay-Li, die bösen Geister abschrecken und neue Träume beschwören.

Nun aber sitze ich mit dem Herrn Hu-Bat, dem Mann mit der großen Nase, in einem Garten des Dorfes Min-Ga, einem fernen und lauten Ort, den ich keiner unserer chinesischen Provinzen zurechnen kann. Ich verbeuge mich tief und erzähle Herrn Hu-Bat, dass das heute zu uns kommende Jahr der Wasserschlange reichlich Klugheit, Logik, Kreativität und Weiblichkeit verspreche.

Doch der scheint meine Sprache nicht zu verstehen. Herr Hu-Bat hält sich den Bauch und stößt mit seiner tiefen Stimme brüllende Lachlaute aus. „Logik und Weiblichkeit? A varreck!“ tönt er. Es gebe nur zwei Arten von Frauen, sagt der Herr Hu-Bat, die farblosen und die mit einer Vergangenheit. Wie denn wohl meine Vergangenheit sei, will der Herr Hu-Bat von mir wissen. „Tradition, des is a Hoitung, des is fei wichtig. I woaß scho, Du kimmst aus Kina!“

Auf jeder meiner Reisen, trage ich meine elgante Hanfu-Robe aus rotem Seidentuch, die mit der feinen Schlangenstickerei. Wenn ich mich umschaue, in dieser fremden, neuen Welt, die von den Langnasen Welt der höheren Stufe genannt wird, dann erscheint mir hier alles uniform und grau zu sein. Die Kleidung zum Beispiel. Allen ist eine Art Arbeits-Beinkleid geschneidert worden, aus robustem blauen Stoff, der von Nieten zusammengehalten wird. An jeder Seite gibt es Taschen, in denen die Langnasen ihre Hände vergraben. Und ihre Gesichter! Es gibt so viele Gesichter. Doch hier tragen alle jederzeit nur ein einziges davon.

Ob ich ein Krieger aus der teuflischen chinesischen Armee der roten Hacker sei, will Herr Hu-Bat wissen, und streicht sich sein langes Geschichtshaar glatt. Er trinkt eine klare, gelb-weiße, schäumende Flüssigkeit aus einem sehr großen durchsichtigen Gefäß, an dem ein Handgriff an der Seite angebracht ist. Herr Hu-Bat fragt nicht, ob ich durstig bin, verhört mich aber weiterhin und fragt, ob ich für das hacken des Twitter-Accounts von Angela Merkel und dem Peer-Blog verantwortlich sei. Ich antworte, dass ich seine Sprache nicht gut verstehe und nicht wisse, von welchen Dingen genau er hier spricht, gebe ihm aber zu bedenken, dass in unserem Kaiserreich keinesfalls Neophobie als Volkskrankheit existiert.

Herr Hu-Bat sagt noch, er habe in einer Ausgabe der BRAVO von 1978 einmal folgende Leserfrage an das Dr. Sommer-Team gelesen: „Ist es richtig“, habe es dort geheißen, „daß Elvis keinen seiner Songs selbst geschrieben hat?“ Bei solcher Fragerei wünsche er sich, daß die Krieger aus dem Reich der Mitte doch mal lieber den Twitter-Account der BRAVO als Zielscheibe ihrer Cyberattacken auswählen sollen, statt auch noch die letzten zwei StudiVZ-Accounts lahm zu legen.

Wenn ich Herrn Hu-Bats Sprache richtig deute, dann berichtet Herr Hu-Bat noch von brennenden Mauern. Ob er Wanli Chang Cheng meint, die Mauer der 10.000 Li, die unser Reich vor den Babaren im Norden schützt? Unvorstellbar! Um Herrn Hu-Bat zu beruhigen, antworte ich ihm, dass ich mich gleich nach meiner Rückkehr in mein Dorf danach erkundigen werde und auch danach, ob die Internetadresse online-betrug.cn noch zu haben ist.

Nun kam Herr Hu-Bat noch richtig in Fahrt. Neulich wollte er seine Notdurft in einem China Restaurant verrichten. „Nur für Gäste!“, erteilte ihm der Wirt eine barsche Absage für sein Geschäft. Alles habe hier seine Ordnung. „A varreck, mia werda koa Bluadsbriada, der Kinese und i. Ordnung, so a Schmarrn!“

Da beugt sich Herr Hu-Bat aber bereits wieder über etwas, das aus Metall ist, und aussieht, wie die Schreibtafeln aus Schiefer, die unsere Kinder in der Schule verwenden, denn ich kann sehen, dass der Herr Hu-Bat etwas mit seinem Finger auf die Tafel schreibt.

Dann beginnt der Herr Hubat plötzlich Selbstgespräche zu führen, sodass ich nun sehr konfus und allein in dieser fremden Welt zurückbleibe. Ich muss an Abschied und die Weiterreise denken. Noch vor dem nächsten Vollmond soll mich mein Weg endlich zurück zu meiner Familie und meiner lieben Fay-Li führen.

Wie sehr wünschte ich, weitere Erkenntnisse über diese rätselhaften Langnasen sammeln zu können. Doch das neue Jahr erstrahlt in noch frischer Blüte und es warten reichlich ungeknackte Twitter Accounts.

10. Februar 2013

2 responses to China.
Reisen im Jahr der Schlange.

  1. Eva said:

    schöne Geschichte, guter Abschluss 😉

  2. Markus said:

    sagst Du, solange Dein Account noch nicht geknackt wurde…

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