Mosambik.
Von Gitarren und hellen Händen.

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Albinos grauer Bart ist kraus und dicht. Gleich werden leuchtende Augen und Zähne durch die schwarze Schale seines Gesichts brechen. Hände, die tanzen. Virtuos, wie er lacht. Auf seinen Beinen ruht eine Gitarre. Der rechte Fuß parkt – seltsam abgewinkelt – vor der Parkbank, hoch über dem Indischen Ozean, am Ende der Avenida Friedrich Engels, wo er sonntags immer im Halbschatten sitzt. Mit Gitarre und Polio.

Die einzige Hauptstraße von Maputo Richtung Norden ist wie ein Pfad durch einen offenen Palmengarten. Schmale Palmenblätter flattern im Wind wie Storchenschnäbel, die auf und nieder klappen. Kokosnüsse, Mangos und Cashews fallen hier von den Bäumen in das gelb-grüne Gras. Es regnet viel. Der Wind lindert. Aus den Holzverschlägen heraus, die entlang der Fahrbahn sich aufreihen, riecht es auf wundersame Art nach Lissabon: Bacalhau, der Stockfisch dörrt in der Sonne. Die Fliegen sind da und Mücken. Wenn man an Dörfern vorbeifährt, sitzen ältere Männer in der Dorfmitte im Kreis zusammen und man kann die Jungen beim Capoeira beobachten. Alles in allem: Ein Wunderland. Orte zum Wundern, ein Landstrich bevölkert durch Wunder.

Die Wunder aus der Abteilung Heilkunst fabrizieren in Mosambik die Sangomas. Die Schamanen, die Medizinmänner. Doch bei Albino gibt es Lieferschwierigkeiten. Die zuständigen Geister wollen sich nicht vertreiben lassen.

In manchen Gegenden wissen sie nicht einmal, dass die Maguerre, die Portugiesen, da sind. Am Ende schaffen sie es, sie aus dem Land zu jagen. Doch Ärzte sucht man in den Dörfern weiter vergebens. Darum weiß niemand, warum Albino’s Fuß anders ist, nicht so; wie bei den übrigen Kindern. Hilfe hoffnungslos, Lähmung lebenslang.

Das Fieber kommt zuerst. Dann: Zweifel, die Angst, der Zorn. Die winzige Hoffnung auf Hilfe. Und sein problematisches Leben im Dorf. Denn Albino kann nicht tagein, tagaus auf dem Feld arbeiten. Abschied von der Kindheit. Abschied von Freiheit. Albino verliert alles, früher als die anderen.

Auf der Bank eine Bibel, der Einband aus Plastikleder. Abgegriffen – vom verzweifelten hin- und herblättern, von den triumphierenden Widersprüchen des Lebens: „Macht einen besseren Menschen aus mir“, sinnt Albino und streicht zärtlich mit seiner rechten Hand über das Buch.

Albinos Hände. Seine Gitarre weint sanft: Led Zeppelin, Babe I’m gonna leave you. Zum letzten Mal packt ihn die Wut. Er verlässt sein Dorf, kommt nach Maputo, in die Hauptstadt. Das war 1975. Albino kehrt nie zurück. Im selben Jahr hört er das erste Mal von einem Jimi Hendrix: Stone Free dreht sich im Haus eines portugiesischen Freundes auf dem Spieler. Wenig später, die erste eigene Hendrix-Scheibe. Der Freund schafft sie aus Südafrika über die Grenze. Dann trifft er Jimmy Dludlu. Den Besten, den Mosambik an der Gitarre hat. Albino beginnt mit dem Spiel.

„Wir sind keine perfekten Seelen, weißt Du. Wir müssen die Widersprüche aushalten“, sagt Albino, wie zum Beweis über die Saiten streichend. „Mosambik ist wunderschön, aber das Leben ist hart. Ich verstehe nichts von deinen Problemen, deiner Welt der Wissenschaft. Aber ich weiß, dass ich glücklich bin. Ich besitze ein Haus, lebe mit Menschen, die ich liebe, und habe meine Gitarre.“

Dann reicht Albino mir ein Buch: „Die Geschichte von den Händen der Schwarzen mag ich besonders“. Und noch im Gehen beginne ich, in dem Buch von Luis Bernado Honwana zu lesen:

Eines Tages begann ein Mischlingsjunge sich über die hellen Hände der Schwarzen zu wundern. Der Lehrer sagte den Kindern, die Schwarzen hätten helle Hände, weil sie noch vor wenigen Jahrhunderten auf allen vieren krochen und so die Handflächen nicht dunkelten.

Der Mischlingsjunge fand diese Erklärung sonderbar, hörte nicht auf, sich zu wundern und gab keine Ruhe. Er wollte wissen, wie es wirklich war. Vom Coca-Cola-Mann, der Senhora Dona Estefánia, von der Mutter. Und erst, als er die Mutter ausgiebig lachen und später weinen sah, war der Junge sicher: Sie ist es, die in der Angelegenheit Recht haben musste.

Gott schuf die Schwarzen, erklärte die Mutter ihrem Sohn, weil er sie haben musste. Doch die anderen Menschen lachten über sie und ließen sie als Sklaven dienen. Weil Gott die Schwarzen nicht mehr völlig weiß machen konnte, weil die Menschen sich schon daran gewöhnt hatten, sie als Schwarze zu sehen, machte er ihre Handflächen genauso, wie die der anderen Menschen. Das machte er, um zu zeigen, dass das, was die Menschen schaffen, immer Werk von Menschen ist. Das, was die Menschen schaffen, wird mit gleichen Händen geschaffen.

Als ich mich umdrehe, sehe ich aus der Ferne Albino, wie er auf das Meer blickt, lacht. Und wie seine Hände tanzen.

1. Februar 2015

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