Prag.
Kafka und Kuchen oder Da bau mir doch einer eine Tüte.

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Prag riecht wie Amsterdam. Nach Marihuana. Es ist bunt bemalt wie Berlin. Mit Nagellack. Und schnell wie Sebastian Vettel. Auf jeder Rolltreppe. Prag badet im Pivo. Im Bier. Es klingt wie New York. Ewig nervendes Sirenengeheul. Es ist schwer. Vom Neobarock. Und unsichtbar wie die Tuerme der Golden Gate. Im Herbstnebel. Und eines ist Prag mit Sicherheit: Konsequent. Es scherzt und es lacht nicht.

In hohem Bogen fliege ich an diesem kalten Herbsttag aus dem Cafe. Da meint man, man kenne den braven Prager – schlau, mutig, gelassen, mit Witz – und dann dies! Ich wollte beim Wirt des Cafes meine Bestellung ändern. Statt einer neuen Bestellung tanzt aber Wechselgeld vor mir auf dem Tisch. Eine festgefrorene Verwirrung, die Franz Kafka begeistert hätte, markiert den Ausdruck meines Gesichtes. Gefolgt von Stille – man könnte eine gekühlte Flasche Absinth die Karlsbrücke herunterstürzen hören.

Der Wirt hatte mir den Honigkuchen, an dem ich bereits genagt hatte, vom Teller genommen und im Wechsel dafür tschechische Kronen darauf gelegt. Das Prager Mütterlein am Nachbartisch lacht laut aus vollem Herzen und feixend auf, klopft sich auf die Schenkel und sagt, das sei ganz normal. Ihr passiere sowas tagein, tagaus. Die Prager seien nicht sehr schonend mit einem, dazu temperamentvoll. Mein Temperament überlegt, ob es als moderner Soldat Sweijk noch hastig den Kuchen vor den Augen des Wirtes herunterstürzen oder Prag dafür lieben soll.

Doch ich verlasse das Cafe und schaue mir stattdessen das bezaubernde Prag an. Und das läßt nicht los. Es hat Krallen, wie Kafka sagt. Als Kafka diesen Satz in seiner neobarocken Wohnung am Wenzelsplatz in sein Notizbuch pinselt, hat er vermutlich schon eine gehörige Länge gepafft und auf der rasenden Rolltreppe der Metro-Station Andel fahrend eine Flasche Bier gekippt. Nun muss er sich an der Rolltreppen-Reling mit seinen lakierten Fingernägeln festkrallen, um nicht hinunterzustürzen. Denn als ihn die Polizei um vier Uhr morgens aufgabelt, ist der Herbstnebel so dicht, wie Kafka selbst. Kein Grund zum Scherzen oder Lachen also. Doch die Streifenbeamten stecken Kafka Weschselgeld für eine Heimfahrt mit dem Taxi zu, wie die Großmutter ihrem geliebten Enkel.

Es ist später Morgen, als Kafka aufwacht und erkennt, es ist ein Käfer, der da mit Nagellack auf seine Fingernägel tätowiert ist. Nach eingehender Inspektion ist klar: Der Käfer knabbert genußvoll einen Honigkuchen. So ist Prag. Kafkaesk. Prag ist Kafka.

1. Dezember 2012

8 responses to Prag.
Kafka und Kuchen oder Da bau mir doch einer eine Tüte.

  1. Stefan said:

    Hach, wie belesen der Junge ist. 🙂

    Dann kommt hier noch was von Kafka:
    Jeder, der sich die Fähigkeit erhält, Schönes zu erkennen, wird nie alt werden.

    Oder etwas für Weltenbummler:
    Wege entstehen dadurch, dass man sie geht.

  2. Udo Weisner said:

    Eine schöne Geschichte von Unterwegs.

  3. Andy said:

    Hi Marcus, Reading Kafka at the moment and it reminded me of that cafe. Smiling still 🙂
    Good story. Hope you are well.

  4. Markus said:

    very glad, you got good memories, andy.

  5. Pingback: nuestra américa | Reiseblog – Langzeitreisen mit Autostopp und Couchsurfing

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